HRV als objektiver Biomarker?


Die Inzidenz für generalisierte Angststörungen (generalized anxiety disorder – AD), schwere Depressionen (Major Depressive Disorder, MDD) und Panikstörungen (panic disorder – PD) sind in den letzten Jahren angestiegen. Die Symptomatik wurde bisher vorwiegend mit Fragebögen erfasst. Ein unabhängiger, objektiver Biomarker fehlte aber bisher, um zwischen diesen Störungsbildern zu unterscheiden.

Die Forschung meint aber nun: Die Herzratenvariabilität (HRV) würde sich dafür eignen. Und auch wir sind dieser Meinung. Denn: Psychische Belastungen führen in der Regel zu einer Erhöhung der Herzfrequenz. Wird diese Belastung chronisch, reduziert sich in der Folge die Anpassungsfähigkeit und Variabilität der Herzfrequenz.

Die Herzratenvariabilität

Die HRV beschreibt die Fähigkeit des Herzens, den zeitlichen Abstand von einem Herzschlag zum nächsten laufend zu verändern und sich so flexibel ständig wechselnden Herausforderungen anzupassen.

A. Lohninger (2021)

Die HRV wurde bisher schon genutzt, um die Auswirkungen psychischer Störungen auf das vegetative Nervensystem zu untersuchen und wird wohl auch für zukünftige Studien zunehmend eingesetzt werden. Wir haben dazu in den letzten Jahren auch schon den ein oder anderen Beitrag verfasst: https://www.autonomhealth.com/blog/category/hrv-psyche/

Diverse Studien zeigten in der Vergangenheit bereits, dass psychische Störungen wie Angst-, Panik oder depressive Störungen gegenüber gesunden Kontrollgruppen eine reduzierte HRV aufweisen.

„So ist bei Depressionen (van der Koy et al., 2006; Birkhofer et al., 2005), mentalem Stress (Hjortskov et al., 2004), Bluthochdruck (Ruediger et al., 2004), Angststörungen (Chalmers et al., 2014) und Panikstörungen (Birkhofer et al., 2004; McCraty et al., 2011) eine reduzierte HRV erkennbar. Sie äußert sich in einer erhöhten sympathischen Kontrolle der HRV und einem reduzierten vagalen Tonus. “ (A. Lohninger, 2021). Aber Unterschiede in der HRV zwischen diesen Störungsbildern konnte bisher noch nicht gefunden werden.

Das Neuroviszerale Integrationsmodell

Die HRV scheint mit verschiedenen kognitiven und emotionalen Funktionen in Verbindung zu stehen. Vor ca. 150 Jahren stellte Claude Bernard, ein französischer Physiologe, eine Verbindung zwischen Gehirn und Herz her. Er schlug vor, dass der präfrontale zerebrale Kortex eine regulatorische Funktion in Bezug auf die Aktivität der subkortikalen Kreisläufe im Zusammenhang mit der motivierten Reaktion hat. Thayer und Lane (2000) nannten Jahre später diese Verbindung neuroviszerales Integrationsmodell. Das neuroviszerale Integrationsmodell geht davon aus, dass ein gesundes Nervensystem durch ein hohes Maß an adaptiver Variabilität gekennzeichnet ist. Dieses Netzwerk versorgt das Herz durch das sympathische und parasympathische Nervensystem und gilt damit als Quelle der HRV.

Heart rate variability in generalized anxiety disorder, major depressive disorder and panic disorder: A network meta-analysis and systematic review

Wang et al. (2023) untersuchten daher in ihrer Netzwerk-Metaanalyse (NMA) die HRV bei emotionalen Störungen wie schwerer Depression, generalisierte Angststörungen und posttraumatische Belastungsstörungen. Sie gehen, so wie auch viele Studien zuvor, davon aus, dass die HRV bei diesen drei emotionalen Störungen im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen (healthy controls – HC) reduziert sei. Das Hauptaugenmerk dieser NMA lag aber nun auf der Untersuchung der Vergleiche zwischen diesen verschiedenen Erkrankungen.

42-Fall-Kontroll-Studien aus den Jahren 1992-2020 flossen in die Metaanalyse mit ein.

Diese Metaanalyse ergab signifikante Unterschiede diverser HRV-Indizes wie HF, LF, RMSSD, SDNN und das LF/HF Verhältnis bei PatientInnen mit MDD, GAD und PD im Vergleich zur Kontrollgruppe. GAD-Patienten zeigten einen signifikant niedrigeren SDNN Wert als PD-Patienten. Im Vergleich zu HCs war das LF/HF-Verhältnis deutlich höher, während dies bei RMSSD und SDNN der Fall war.

Diese Untersuchungen lieferte konkrete Ergebnisse zur Unterscheidung zwischen einer generalisierten Angststörung und Panikstörung. Es bedarf aber weiterer Forschungen, mit größeren Stichproben, um die Suche nach Biomarkern zur Unterscheidung dieser und weiterer Störungsbilder fortzusetzen.


Quellen:

Birkofer, A./Schmidt, G/Först, H. (2005): Herz und Hirn – Die Auswirkungen psychischer Erkrankungen und ihrer Therapie auf die Herzfrequenzvariabilität. In: Fortschritte der Neurologie Psychiatrie, 73. Jg., 2011, S. 192-205

Chalmers, JA./Quintana, DS./Abbot MJ./Kemp, AH.(2014):. Anxiety disorders are associated with reduced heart rate variability: a meta analysis. In: Front Psychiatry, 11. Jg., 2014, S. 80.

Hjortskov, N./Rissen, D./Blangsted, AK./Fallentin, N./Lundberg, U./Sogaard, K. (2004): The effect of mental stress on heart rate variability and blood pressure during computer work. In: European Journal of Applied Physiology, 92. Jg., 2004, S. 84–89.

McCraty, R/Shaffer, F. (2015): Heart rate variability:  new perspectives on physiological mechanisms, assessment of self-regulatory capacity, and health risk. In: Global Advances in Health and Medicine, 4, Jg., 2015, S. 46-61
https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0165032723003506?via%3Dihub

Lohninger, A. (2021). Herzratenvariabilität – Das HRV-Praxislehrbuch. Wien: Facultas.

Ruediger H et al. Sympathetic and parasympathetic activation in heart rate variability in male hypertensive patients under mental stress. J Hum Hypertens 2004; 18: 307–315.

Van der Kooy KG et al. Differences in heart rate variability between depressed and non depressed elderly. Int J Geriatr Psychiatry 2006; 21: 147–150

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