In unserer Schwerpunktreihe HRV-Insight behandelt und dokumentiert der CEO und medizinischer Leiter der Autonom Health GesundheitsbildungsGmbH Dr. med. Alfred Lohninger unterschiedliche HRV-Themen, darunter auch aktuelle HRV-Forschungsbereiche.
Zu dem neuen, demnächst erscheinenden Buch von Remo Rittiner hat unser CEO Dr. Alfred Lohninger einen Beitrag über die HRV als Messmethode geschrieben.
Das Herz – Epizentrum des Körpers
Sowohl die Traditionelle Europäische, als auch die Traditionell Chinesische und die Anthroposophische Medizin betrachten das Herz als übergeordnetes Organ. Es ist der Sitz des Feuers, der Wärme und somit auch des Geistes, des „Ichs“.
Zudem steht es in Verbindung mit dem „großen Ganzen“. Das Herz nimmt innere und äußere Veränderungen wahr und reagiert sehr empfindlich darauf. Es hat ein Bewusstsein und eine feine Wahrnehmung. Und es reagiert, wenn unsere Lebensweise nicht der inneren Wahrheit entspricht. Es dient also der Fremd- und Selbstwahrnehmung. Ein Herz im Gleichgewicht kann mit der Umwelt in Kontakt treten und kommunizieren. Es kann Freude und Liebe empfinden.
In allen drei Medizinsystemen wird beschrieben, dass es bei einem Ungleichgewicht zu Egoismus und Rücksichtslosigkeit kommen kann. Diese Menschen haben das Gefühl, alles kontrollieren zu müssen. Sie sind sehr im Materiellen verhaftet. Alles, was sich außerhalb der sinnlichen Wahrnehmung befindet, akzeptieren sie nicht.
Bei Misserfolg kann es am Tag zu einer aufgesetzten guten Laune kommen, die sich bis zum Übermut steigern lässt. In der Nacht aber überfällt sie dann plötzlich eine tiefe Mutlosigkeit. Sie kann bis zur Depression und zu Suizidgedanken führen. Sie fühlen sich von der ganzen Welt verlassen. Es sind dies Symptome, die schlussendlich auch zu einem Herzinfarkt führen können.
Unser Herz nimmt also alle äußeren und inneren Impulse auf und speichert sie. Bei einem zu großen Ungleichgewicht wird das Herz überfremdet. Die seelische Befindlichkeit und die Ich-Organisation werden gestört. In allen Philosophien wird dies, wenn auch in unterschiedlicher Sprache und Symbolik, beschrieben.
Das Herz in der Schulmedizin
Und was sagt die Schulmedizin dazu? Dort nimmt das Herz ebenfalls eine Sonderstellung ein. Seine Lage in der mittleren Körperhöhle zwischen dem „schnellen“ Zentralnervensystem im Kopf und dem „langsamen“ Verdauungssystem in der Bauchhöhle lässt es eine funktionell rhythmische „Mittelstellung“ einnehmen. Gleichzeitig ist es die unmittelbare Nähe zum rhythmischen Organ Lunge. Sie versucht, die Herzaktion mit jedem Atemzug in Gleichklang mit der Atemfrequenz zu bringen. Über Variationen des eigenen (Herz-)Rhythmus lädt das Herz die anderen rhythmischen Systeme ein – also alle –, mit Herz und Lunge mitzuschwingen – solange man lebt.
Letztendlich ist es so, dass alle bewussten und unbewussten Informationen von Nerven-Endigungen und Nervenzentren, Sinnesorganen, hormonellen Impulsen, Schmerz, Müdigkeit, Anspannung, Angst, Freude, Durst, Völlegefühl usw. jegliche Aktivität des Herzens andauernd verändern. Das beginnt bereits im Mutterleib und endet mit dem letzten Schlag, der den Eintritt des Todes bedeutet. Und so, wie alle Organe Impulse erhalten, um zum Wohle eines Ganzen zu funktionieren, und gleichzeitig Informationen weiterleiten, um Grundlagen zu schaffen zur Koordination des Ganzen, zeigt sich diese Wechselwirkung mit allen Strukturen und Funktionen des Organismus beim Herzen besonders ausgeprägt. Ausgeführt wird dieses permanente „Schwingen“ des Herzens von unserem Autonomen Nervensystem.
Das Herz als Messinstrument
Da das Herz also eine enorme Fülle an Information in sich aufnimmt und nach außen trägt, bietet es sich als „Auskunftsorgan“ geradezu an – umso mehr, als es seine Informationen als stärkste elektromagnetische Kraftquelle mit 2,4 Watt Leistung an jede Körperzelle weiterleitet. Zum Vergleich: Eine Hallogen-Miniatur-Lampe fürs Fahrrad hat ebenfalls 2,4 Watt Leistung. Das ist genug, um nachts den Radweg zu beleuchten. Jeder Herzschlag liefert etwa jede Sekunde eine Information, das macht rund 100 000 in 24 Stunden. Es handelt sich hierbei um eine riesige Datenmenge, die auf einfachste Weise über ein einfaches Elektrokardiogramm (EKG) erfasst, gespeichert und weiterverarbeitet werden kann.
Die „Decodierung“ der – nur scheinbar – verborgenen Informationen liegt in der Ursachenforschung von Anpassungsvorgängen, die die Muster der Herzschlagfolge bedingen.
Die Herzratenvariabilität
Bei gesunden Menschen reagiert das Herz wie ein High-Tech-Instrument ununterbrochen unmittelbar auf alle Signale, die wir im Außen erleben und im Inneren denken und fühlen, mit fein abgestimmten Veränderungen („Variationen“) der Herzschlagfolge. Diese Veränderungen werden von unserer inneren Uhr, unserer Atmung, unseren Emotionen und von äußeren Einflüssen gesteuert. Eben dieses Phänomen nennt man Herzratenvariabilität, abgekürzt HRV. Sie dient dazu, bestmöglich auf diese inneren und äußeren Reize zu reagieren, und folgt ausschließlich physiologischen Gesetzmäßigkeiten.
Was beeinflusst die HRV?
Es ist bekannt, dass die Herzfrequenz bei körperlicher Anstrengung oder Stress ansteigt, während sie bei Ruhe oder im Schlaf sinkt. Diese „Auf und Ab“ findet sich aber nicht nur als natürliche Anpassung an Aktivierung und Regeneration, sondern im Kontext jeder menschlichen Aktivität. Sogar beim Einatmen wird der Herzschlag kurzfristig schneller, um sich beim Ausatmen wieder zu verlangsamen.
Lebensalter, Geschlecht, circadianer Rhythmus, Jahreszeit, Trainingszustand, Gesundheitszustand, Umgebungseinflüsse, Medikamente, Alkohol und vieles mehr sind HRV-modifizierende Faktoren.
Gibt es eine gute und eine schlechte HRV?
Es gibt ein optimales Maß an Variabilität: Eine zu hohe HRV kann sich nachteilig auf den
Energieverbrauch des Organismus auswirken. Eine zu niedrige HRV ist mit verschiedenen physischen und psychischen pathologischen Krankheiten verbunden, wie Angststörungen, affektiven Störungen, Herzerkrankungen, Diabetes, Neuropathie und Myokardinfarkten, aber auch mit mentalem Stress.
Ein Meister der TCM verglich diese Vitalität mit der Fähigkeit einer jungen, elastischen Weide, sich einem Sturm anzupassen. Je stärker der Wind, desto weiter die Schwingung, bis sich der Sturm legt und der Baum wieder eine Mittelstellung in Ruhe einnehmen kann. Ebenso kann man das Organsystem des Menschen betrachten: flexibel in jungen Jahren, sich langsam verhärtend und die Elastizität verlierend im Alter. Ob man nun die Biegsamkeit oder Beweglichkeit der Gefäße, der Gelenke oder des Geistes betrachtet – das Prinzip ist immer das gleiche.
Was steuert die HRV?
Die Steuerung geschieht durch eine Vielzahl ineinandergreifender Mechanismen, die in den Rhythmen von Langzeit-Messungen der HRV entdeckbar geworden sind. Von grundlegender Bedeutung ist, dass die Aktivität des Autonomen (=Vegetativen) Nervensystems, das alle unsere Körperfunktionen ohne willentliche Beeinflussbarkeit steuert, in der HRV exakt diagnostizierbar ist. Das Aktivieren des Sympathikus (im Sinne der Anspannung, aber auch Leistung) und des Parasympathikus (im Sinne der Ökonomisierung und Erholung).
Der Sympathikus wird aktiv, wenn Gefahr droht, wir aufmerksam und konzentriert sein sollen. Für diesen urgeschichtlichen Instinkt braucht der Körper Energie, weshalb z.B. Adrenalin (ein Stresshormon) ausgeschüttet wird. Das Herz schlägt schneller, man atmet flacher. Alle Funktionen, die in diesem Überlebensmechanismus nicht gebraucht werden, werden heruntergefahren. Dazu gehören z.B. das Immunsystem oder die Verdauung.
Der Parasympathikus hingegen beruhigt uns, verdaut Nahrung, um Energie bereitstellen zu können. Ohne ihn gibt es keine Regeneration, keine Fortpflanzung, keine Heilungsprozesse und kein Wohlbefinden.
Die HRV als Instrument für Forschung
Die schulmedizinisch etablierte Methode der HRV wird nicht nur zur Planung und Überwachung von Heilungsprozessen genutzt, um ein objektives Verständnis für relevante Gesundheits- und Lebensstilfaktoren zu fördern. Sie eignet sich auch hervorragend zur Evaluation von gesetzten medikamentösen und nicht medikamentösen Interventionen.
Sie eignet sich, um Highlights, aber auch Lowlights, also Belastungsfaktoren, im Alltag sichtbar zu machen. Faktoren, die vielleicht bewusst, oder unbewusst sind, Faktoren, die unterdrückt werden oder die man nicht wahrnehmen will. Die HRV zeigt Ressourcen und Potentiale auf, zeigt aber auch auf, warum diese Faktoren oft nicht genutzt werden können oder aber genutzt werden und trotzdem nicht den gewünschten Erfolg bringen.