How to lie with data

Seit Anfang des Jahres 2020 werden wir täglich mit besonders vielen Daten und Graphen bombardiert.  Allerdings nicht erst seit gestern werfen beeindruckende Datenvisualisierungen Fragen auf. Denn nicht immer sind sie klar. Nicht immer verständlich. Nicht immer eindeutig. Doch Achtung! Genau das könnte beabsichtigt sein. Das von Autonom Health organisierte Online-Seminar „How to lie with data“ vom 18. November 2020 reißt den verschleiernden Vorhang weg. Unsere PR-Expertin Dr. Marion SOCEANU hat dieses hochinteressante Online-Seminar zusammengefasst, um euch einen Einblick in das aktuelle Thema zu geben. Vielen Dank dafür, liebe Marion!

Mit „Guten Morgen“ begrüßt er seine Studierenden, egal zu welcher Uhrzeit er seine Vorlesungen hält. So auch am Seminarabend bei Autonom Health. Er, das ist der Hochschullektor und Forschungsspezialist im Fachgebiet der Rehabilitationstechnik an der FH Technikum Wien Dr. scient. med. Matthias Scherer.
Anschaulich und für jeden verständlich erläutert er, wie wir mit selektiver Wiedergabe von Daten regelrecht belogen werden. Sein Lernziel: Wie liest man die veröffentlichten Datenvisualisierungen richtig, wie durchschaut man sie. Dabei sollte man sich grundsätzlich immer drei kritische Hauptfragen stellen: Woher kommen die dafür genutzten Daten eigentlich? Wie werden sie eingesetzt? Und was sagen sie wirklich aus?

Dr.scient.med. Matthias Scherer.
Dr.scient.med. Matthias Scherer.

Donald Trump, der ewige Wahlgewinner

Scherer startet mit der für alle Seiten unwiderruflich offiziell abgeschlossenen US-Wahl von … 2016(!): Donald Trump versus Hillary Clinton. Bereits damals hatte der stets twitternde und überall Ungemach witternde Trump mit seinen höchst eigenwilligen Zahlen auf sich aufmerksam gemacht. Zur Verdeutlichung nahm Scherer eine USA-Karte mit dem Wählerverhalten aus der Sicht von Captain Chaos. (siehe Chart 1). Die Pro-Trump-Karte suggerierte via Fox News, den einflussreichen TV-Nachrichtensender: Die überwiegende Mehrheit hat für ihn gestimmt. Allerdings hält die berühmt berüchtigte, nahezu durchgehend rote Karte einer genaueren Betrachtung nicht stand. Sie ist voller irreführender „Informationen“. Folglich, so Scherer, sollte man immer fragen: Aus welchem Hause kommen eigentlich die dazugehörigen Daten? Aus der Wissenschaft? Von einem Influencer? Welche Daten wurden ausgewählt? Welches Ziel könnte bei der Darstellung verfolgt werden? Vielleicht wurden Daten sogar weggelassen, um zu verwirren? Oder vielleicht sind sie willkürlich zusammengestellt?

Chart 1: Republikaner rot, Demokraten blau. Quelle: Alberto Cairo, How Charts Lie: Getting Smarter About Visual Information, W.W.Norton & Co., 2019
Chart 1: Republikaner rot, Demokraten blau. Quelle: Alberto Cairo, How Charts Lie: Getting Smarter About Visual Information, W.W.Norton & Co., 2019

Gesunde Ernährung mit Früchten

Allein durch die Art der Darstellung kann es zu unerwarteten, mitunter skurrilen Interpretationen kommen. Forscher zeigten Probanden unterschiedliche Versionen von Infografiken mit Früchten, einmal eine mit mehreren Früchten, einmal nur mit Äpfeln (siehe Chart 2): Dabei geht es um den Fantasie-Protagonisten Victor. Man erkennt unschwer, dass er pro Woche mehr Obst als andere gleichaltrige Männer verspeist, doch weniger als die empfohlenen 14 Portionen. Bis auf ein paar wenige nahmen alle die Bilder wörtlich. So glaubten diejenigen, denen nur die Apfel-Grafik gezeigt wurde, sie müssten ausschließlich Äpfel essen. Das kritisierten sie als nicht abwechslungsreich genug. Einer anderen Gruppe präsentierten die Forscher sowohl die Äpfel- als auch die Früchte-Grafik. Diese Testpersonen befanden die Grafik mit den Früchten bereits als eine echte Verbesserung. Einer weiteren Gruppe wurde nur die Früchte-Grafik vorgelegt. Prompt beschwerten sich die Teilnehmer wieder über die Einseitigkeit dieser vorgegebenen, täglich zu verzehrenden Obstsorten. Zudem beklagten sich einige, dass sie täglich eine ganze Ananas verspeisen müssten.

Chart 2: Fruit Servings per Week. Quelle: Arcia et al.: Sometimes more is more: iterative participatory design of infographics for engagement of community members with varying levels of health literacy https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5009940/

Gestalterisch schlecht konzipiert

Bei einem weiteren Anschauungsbeispiel ging es um die spannende Frage: Wie lassen sich Umsatzzahlen leistungsstark präsentieren? Die entlarvende Antwort: je nach Bedarf. Man nimmt einfach verschiedene Betrachtungswinkel. Wie wär’s mit einem Säulen-Diagramm in 3D-Optik? (siehe Chart 3) Dadurch schauen Geschäftszahlen im Wettbewerbsvergleich weit besser aus als bei einer normalen 2D-Ansicht. Selbst mit einem Tortendiagramm lassen sich gewünschte Effekte erzielt.
Als nächstes folgte ein Blick auf die viel und gern genutzten Kurven-Graphen. Kein Problem! Diese sind ja anhand des X- und Y-Koordinatensystems kinderleicht nachzuvollziehen. Wirklich? Hierbei sind Skalierungen möglich und … trügerisch.  Deshalb empfiehlt Scherer, als allererstes zu verifizieren, wo die gezeichnete Kurve anfängt. Wieso? Weil es sein könnte, dass sie auf der Y-Achse mit einer höheren Zahl beginnt. Wollte man eine saubere Aussage treffen, sollte sie immer bei „0“ beginnen.

Chart 3: Record Sales. Quelle: Alberto Cairo, How Charts Lie: Getting Smarter About Visual Information, W.W.Norton & Co., 2019

Scheidungsrate vs. Margarine-Verbrauch

Kopfschüttelnd betrachtet zuweilen jeder von uns die kuriosesten Daten-Korrelationen. Scherers mitunter unterhaltsamer Datenvisualisierungs-Schwindel reichte bis zur hochsensiblen Frage, in welchem US-Bundesstaat am meisten pornographische Seiten angeschaut werden. In dem Zusammenhang ging das ausführende Pornhub-Team davon aus, dass man damit sogar das Wahlverhalten voraussagen könnte!
Besonders verblüffte eine im US-Bundesstaat Maine durchgeführte Langzeitstudie namhafter internationaler Wissenschaftler. Sie zeigten allen Ernstes auf, dass eine Verbindung zwischen der Scheidungsrate in Industrieländern und dem Pro-Kopf-Verbrauch von Margarine besteht (siehe Chart 4). Es gibt unzählige solcher Schein-Korrelationen. Sucht man nach dem Sinn des Kausalzusammenhangs, krachen solche „Daten-Häuser“ schnell in sich zusammen.

Chart 4: Divorce Rate in Maine. Quelle: https://tylervigen.com/old-version.html

Selbst gefälschte Statistik

Mit jeder neuen Folie machte der Hochschullektor dem staunenden Betrachter immer bewusster: Visualisierungen jeglicher Daten können überzeugen, überreden, betrügen und verführen. Dazu zählen auch statistische. Wie sagte doch Churchill? „Ich glaube nur der Statistik, die ich selbst gefälscht habe.“ Selbst hier: reingefallen! Es konnte nie nachgewiesen werden, dass dieses Zitat von ihm stammt. Überall gilt: Nicht alles fraglos für bare Münze nehmen. Insbesondere beim Veranschaulichen von Statistiken sollte man stets die Lupe in die Hand nehmen.
Auch wer auf etwas aus der HRV wartet wird nicht enttäuscht. Natürlich machte Scherer einen Ausflug in die HRV. Schließlich arbeitet er eng mit Autonom Health zusammen. Dabei ging es ihm um die Problematik von Artefakten bei Messungen und wie diese grafisch aufbereitet werden könnten. Fragen, die sich jede/r HRV-Professional bestimmt von Zeit zu Zeit stellt. Wer also solche Profi-Tipps benötigt oder generell ein herzliches Verhältnis zur Visualisierung abstrakter Daten hat, für den ist das Scherer-Seminar ein absolutes Muss.

Hier geht es zur Aufzeichnung: https://shop.autonomhealth.com/produkt/online-seminar-aufgezeichnet-matthias-scherer/

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