Belastbarkeit & HRV

Wie viel Stress kann ein Mensch vertragen?

Jeder Mensch ist in seinem Alltag auf die ein oder andere Art und Weise psychischem Stress ausgesetzt. Nur, was macht einige Menschen weniger anfällig für Stress und seine Auswirkungen auf die Gesundheit als andere? 
Jeder Mensch ist anders, und so sind auch seine Reaktionen auf stressige Situationen. Einige von uns empfinden innere Unruhe oder bekommen Kopfschmerzen, während andere davon nicht betroffen zu sein scheinen. Der Begriff „psychological resilience“ wurde von Fletcher und Sarkar (2013) als Fähigkeit, sich positiv an negative Ereignisse anzupassen, definiert (Fletcher & Sakar, 2013). Deutsch übersetzt würde dieser Begriff wohl Stressresistenz oder Belastbarkeit heißen.
Genau diese Stressresistenz ist Thema vieler medizinischer und psychologischer Forschungen. Da viele dieser Studien auf persönlichen Berichten der Probanden beruhen, stellt die objektive Quantifizierung der Stressresilienz nach wie vor eine große Herausforderung dar. Es gibt aber eine verlässliche Methode, um Belastbarkeit in Zahlen zu fassen: die Herzratenvariabilität (HRV).

Derzeitige Studienlage
Walker et. al (2017) analysierten das Phänomen der Stressresilienz. Sie beschrieben die wichtigsten psychometrischen Skalen, potentielle physiologische und neurochemische Parameter sowie Immunfaktoren. Nach wie vor stellen psychometrische Messmethoden zwar eine wissenschaftlich geläufige Methode dar, diese ist aber für subjektive Verzerrung anfällig.  Daher wollten die Forscher psychometrische Methoden mit objektiv messbaren Biomarkern ergänzen. Die HRV zeigte sich als verlässliche Methode, um die persönliche Belastbarkeit und Anfälligkeit für stressinduzierte Störungen abzuschätzen.
Sie inkludierten in ihrer systematischen Übersichtsarbeit alle relevanten Publikationen, die die parasympathischen Einflüsse der respiratorischen Sinusarrhythmie (RSA) erheben. Fast alle Studien, die sich mit dem Zusammenhang von niedrigem Vagotonus und Symptomen posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) beschäftigten, waren Querschnittsstudien. Die Ergebnisse waren sehr einheitlich und zeigten, dass die RSA bei Patienten mit PTBS reduziert ist (Gillie & Thayer, 2014).

Abb.1: Reduzierte Belastbarkeit im HRV-Spektrogramm: “ eingeschränkte Ökonomie und reduziertes Leistungsvermögen bei noch erhaltener Dynamik und Substanz“

In einer der analysierten Studien aus dieser Arbeit wurden die Stressresilienz und vagale Aktivität mittels psychometrischer Methoden im experimentellen Setting erhoben. Die Ergebnisse dieser Studie zeigten, dass die Patienten mit einer höheren RSA unter Ruhebedingungen auch über eine höhere Belastbarkeit verfügen und sich schneller von Stresssituationen erholen (Souza et al., 2013). 
Die Mechanismen hinter dem niedrigen Vagotonus bei Patienten mit PTBS sind allerdings nicht bekannt. Es wird vermutet, dass diese Patienten eine unterschiedliche RSA aufgrund ihrer niedrigeren kognitiven Flexibilität aufweisen. Das macht sich durch die Unfähigkeit, aufdrängende traumatische Gedanken zu verdrängen, bemerkbar und genau das führt letztendlich zu einer verminderten RSA. Daher ist es auch möglich, dass perseverierende Gedankenmuster zu einer verzögerten Erholung des Blutdrucks und der Herzrate führen und somit auch die RSA reduzieren könnten (Gillie and Thayer, 2014).  
Walker und seine Kollegen (2017) empfehlen, dass Studien zur Belastbarkeit und Stress nicht nur auf psychometrischen Messmethoden beruhen sollen. Welche Implikationen hat das für unsere KlientInnen?
Natürlich hat nicht jeder Mensch mit einer reduzierten RSA eine PTBS. Die HRV ist aber eine sehr empfindliche Methode, um nicht nur die körperlichen Reaktionen zu messen, sondern auch einen Aufschluss über die persönlich erlebten Emotionen und Gedanken zu bekommen.


FLETCHER, D., SARKAR, M., 2013. Psychological resilience: a review and critique of definitions, concepts, and theory. Eur. Psychol., 12-23.

FREDERICK R. WALKER, K. P., LUCA CARNEVALIC, ANDREA SGOIFOC, EUGENE NALIVAIKO 2017. In the search for integrative biomarker of resilience to psychological stress. Neuroscience & Biobehavioral Reviews, 310-320.

GILLIE, B. L. & THAYER, J. F. 2014. Individual differences in resting heart rate variability and cognitive control in posttraumatic stress disorder. Front Psychol, 5, 758.

SOUZA, G. G., MAGALHAES, L. N., CRUZ, T. A., MENDONCA-DE-SOUZA, A. C., DUARTE, A. F., FISCHER, N. L., SOUZA, W. F., COUTINHO EDA, S., VILA, J., GLEISER, S., FIGUEIRA, I. & VOLCHAN, E. 2013. Resting vagal control and resilience as predictors of cardiovascular allostasis in peacekeepers. Stress, 16, 377-83.

SOUZA, G. G., MENDONCA-DE-SOUZA, A. C., BARROS, E. M., COUTINHO, E. F., OLIVEIRA, L., MENDLOWICZ, M. V., FIGUEIRA, I. & VOLCHAN, E. 2007. Resilience and vagal tone predict cardiac recovery from acute social stress. Stress, 10, 368-74.

Nach oben scrollen
Cookie Consent mit Real Cookie Banner